Gießener Anzeiger vom 12.04.2016 v. Harun Atmaca - SCHOCK Wohnungseinbrüche hinterlassen nicht nur Sachschäden, sondern haben oft auch psychische Folgen
Interview mit Karin Skib, Leiterin der Außenstelle Gießen des WEISSEN RINGS.
Gießen: Der Schock ist groß, wenn man nach Hause kommt und die eigene Wohnung in einem großen Durcheinander vorfindet. Neben einem Sachschaden hinterlässt ein Einbruch oft ein beschädigtes Sicherheitsgefühl. Welche Folgen Wohnungseinbrüche für Betroffene haben, weiß Karin Skib. Sie leitet die Außenstelle Gießen des "WEISSEN RINGS".
Wie fühlen sich Opfer nach einem Einbruch? Sehr, sehr unsicher. Eine Wohnung oder ein Haus ist für jeden so etwas wie eine kleine Burg. Da kann man sich zurückziehen, alles ist so eingerichtet, dass man sich wohlfühlt. Wenn dann fremde Leute in den privaten Sachen wühlen, zum Beispiel in der Kleidung im Schlafzimmer, weil dort ja oft das Geld vermutet wird, dann ist das für die Betroffenen wirklich schlimm. Jemand ist schließlich in diese persönliche Burg eingedrungen und hat womöglich alles angefasst.
Welche Folgen hat das für die Opfer? Es kann psychische Folgen haben. Es kann sein, dass jemand Angst hat, wenn es dunkel wird. Schlafstörungen haben ganz viele, manche sind schreckhaft. Es gibt auch Leute, die einen Zwang entwickeln, aber das hatten wir bei uns noch nicht. Es sind die Allerwenigsten, die das - zumindest nach außen hin - gut wegstecken. Immerhin ist mit dem Einbruch ein Stück Urvertrauen verloren gegangen.
Bemötigen Einbruchsopfer denn eine psychologische Behandlung? Das kann sein. Wir sind aber keine Psychologen oder Therapeuten. Wenn wir sehen, dass jemand psychologische Hilfe braucht, dann vermitteln wir die Betroffenen weiter.
Wie reagieren Menschen, die dem Täter in der Wohnung begegnen? Es gibt diejenigen, die sich mutig dagegen stemmen, aber natürlich auch die, die total verschreckt sind und unte Schock stehen. Wir sagen immer: Bloß nicht den Helden spielen. Im Zweifel sollte man den Tätern die Sachen überlassen. Am wichtigsten ist das Leben. Für viele ist es natürlich schlimm, wenn nicht nur Geld gestohlen wird, sondern auch ganz persönliche Dinge, die einen idellen Wert haben: Andenken oder Erinnerungsstücke beispielsweise.
Ziehen Opfer Konsequenzen aus solchen Vorfällen? Das ist ganz unterschiedlich. Es kommt immer auf die Person an. Manche verändern irgendetwas, manche machen gar nichts und es gibt Leute, die sagen: Nein, in dieser Wohnung kann ich nicht mehr bleiben.
Haben Freunde und Familie Verständnis für derartige Reaktionen? Auch das ist ganz unterschiedlich und es kommt darauf an, wie feinfühlig sie sind. Es gibt Angehörige, die sagen: Stell dich doch nicht so an, nun ist aber auch gut. Es gibt aber auch welche, die können nachvollziehen, was da in dem Betroffenen vor sich geht. Als Angehöriger sollte man versuchen, sich darauf einzulassen. So ein Einbruch ist mehr als nur eine Bagatelle.
Wie hilft der WEISSE RING? Die Polizei betreibt eine Beratungsstelle und schaut sich nach Einbrüchen oft die Wohnungen an. Sie erkennt die Schwachstellen und sagt, wo sie Handlungsbedarf sieht, um es Einbrechern in Zukunft schwieriger zu machen. Außerdem verweist die Polizei auf uns. Wir leisten persönlichen Beistand und versuchen die Menschen zu stärken. Wenn notwendig, unterstützen wir Kriminalitätsopfer auch finanziell, so dass die Möglichkeit besteht, dass sie ihr Haus oder ihre Wohnung umrüsten lassen können. Hier werden wir auch in erster Linie angefragt.
Welche Hilfsangebote gibt es in Gießen noch für Einbruchsopfer? Es gibt die 'Gießener Hilfe', die dann auf der therapeutischen Ebene ein Stück weit helfen kann. Es ist ja schwierig, einen Therapieplatz irgendwo bei einem niedergelassenen Psychotherapeuten zu bekommen. Bei der 'Gießener Hilfe' gibt es recht schnell einen Termin und die führen auch regelmäßig Gespräche.
INFO UND KONTAKT: Der WEISSE RING hilft Menschen, die Opfer von Kriminalität und Gewalt geworden sind, durch immaterielle, aber auch materielle Leistungen. Der gemeinnützige Verein tritt öffentlich für die Interessen der Betroffenen ein. Gegründet wurde er 1976 in Mainz. Heute gilt er mit 420 Außenstellen und über 3200 ehrenamtlichen Helfern als größte Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer in Deutschland. Im vergangenen Jahr wandten sich rund 130 Opfer an die Außenstelle Gießen. Hinzu kommen rund 20 Betroffene, die der WEISSE RING seit mehreren Jahren betreut.
Kontakt Außenstelle Gießen: telefonisch unter 0641/5592990, per Fax an 0641/5592989 oder per E-Mail an biks58@aol.com.